Prostatakrebs: Behandlung mit dem Da Vinci-Roboter bringt keine Vorteile für Potenz und Inkontinenz
Die Entfernung der Prostata mit Hilfe eines Operationsroboters (Da Vinci- Methode) führt nicht zu einer niedrigeren Inkontinenz- und Impotenzrate nach der Behandlung. Im Gegenteil: Geringe Fallzahlen können die Qualität der Therapie sogar gefährden und das Komplikationsrisiko erhöhen. Gleichzeitig werden Patienten mit einem lokalisierten Prostatakarzinom häufig unnötigerweise einer belastenden Operation ausgesetzt.
Weniger Schmerzen, kürzerer Klinikaufenthalt, präzisere Schnitte: Die radikale Entfernung der Prostata (Prostatektomie) mit Hilfe des Da Vinci-Roboters gewinnt zunehmend an Popularität. Heute verfügen zahlreiche Kliniken und Prostatazentren über die Robotertechnik. Trotz der hohen Anschaffungskosten von knapp 2 Millionen Euro plus der jährlichen Wartungskosten werden derzeit in Deutschland mehr als 30 Prozent der Prostata-Operationen roboterassistiert durchgeführt.
Da Vinci: Roboter-assistierte Operation
Genauso wie bei der Prostataentfernung mittels Schlüssellochchirurgie (laparoskopische Prostataektomie) erfolgt der Zugang bei der Roboter-OP über wenige Millimeter große Hautschnitte im Unterbauch. Der „Operationsroboter“ besteht im Wesentlichen aus 2 Komponenten. Der Steuerkonsole, die vom Chirurgen bedient wird und dem mehrarmigen Operationsassistenten, der am Patienten positioniert wird. Eine hochauflösende dreidimensionale Sicht, starke Vergrößerung des Operationsfeldes sowie eine verbesserte Bewegungsmöglichkeit der Instrumente erlauben dem Chirurgen eine sehr präzise Instrumentenführung. Diese Vorgehensweise heißt Roboter-assistierte radikale Prostatektomie oder Prostataentfernung mit dem Da Vinci-System. Befürworter dieser Methode versprechen Patienten mit Prostatakrebs weniger Komplikationen wie Inkontinenz und Impotenz und darüber hinaus bessere Heilungsraten.
Roboter-assistierte Prostatektomie ohne Vorteile für Harnkontinenz und Sexualfunktion
Obwohl das System nun schon seit fast 20 Jahren auf dem Markt ist, ist die wissenschaftliche Studienlage erstaunlich dünn. Bislang gibt es nur eine einzige Studie, die beide OP-Techniken direkt miteinander vergleicht. Dazu wurden von August 2010 bis November 2014 insgesamt 308 Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom nach dem Zufallsprinzip auf eine Roboter-assistierte laparoskopische Prostatektomie oder eine konventionelle radikale Prostatektomie mittels Bauchschnitt (retropubische Prostatektomie) zugeordnet. Die australische Studie wurde 2018 in der renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht1. Die Ergebnisse zeigen, dass der Operationsroboter bei den wichtigsten postoperativen Risiken einer Prostata-Entfernung nicht besser abschneidet: Nach 6, 12 und 24 Monaten klagten jeweils gleich viele Patienten über Inkontinenz und Impotenz – unabhängig davon, ob sie minimalinvasiv mit dem Da Vinci-Roboter oder offen mit der herkömmlichen Methode operiert wurden. Ein ähnliches Ergebnis zeigt ein 2017 veröffentlichtes Review2, in dem beide Methoden an insgesamt 446 Männern mit Prostatakrebs verglichen wurden. Auch hier fanden die Studienautoren keine Verbesserung der Lebensqualität der Männer bezogen auf ihre Kontinenz und Sexualfunktion, nachdem sie sich einer Roboter-assistierten OP unterzogen hatten.
Ernüchternd sind auch die Ergebnisse einer aktuellen Studie des Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York, die jüngst im renommierten Fachblatt „European Urology“ publiziert wurden3. Die Wissenschaftler gingen der Frage nach, ob sich über die letzten zehn Jahre durch den Einsatz moderner OP-Techniken bei der radikalen Prostatektomie eine Verbesserung der erektilen Dysfunktion erreicht werden konnte. Die bei mehr als 2.000 in einem Zeitraum von zehn Jahren von erfahrenen Operateuren offen oder minimalinvasiv durchgeführten Prostatektomien keine Verbesserung der erektilen Funktion nach OP feststellen konnte.
Keine höhere Überlebensrate nach Da Vinci-OP
Zahlreiche Kliniken werben bei der Roboter-assistierten OP außerdem mit einem besseren onkologischen Ergebnis; mit der Begründung, dass Chirurgen bei einer da Vinci-OP im Vergleich zu offenen Prostatektomien die Krebserkrankung häufiger komplett entfernen. Doch bislang gibt es keine größere wissenschaftliche Untersuchung welche diese Vermutung stützt. So fanden auch beide oben genannten Studien kein höheres PSA freies Überleben (Maß für das Wiederauftreten der Krebserkrankung) durch den Einsatz des Da Vinci-Roboters.
Eine US-amerikanische Studie4 kommt sogar zu dem Ergebnis, dass die Überlebensrate nach einer Da Vinci-OP schlechter ausfiel, als nach der konventionellen Operationstechnik. Die Erhebung an 2700 Prostatakrebs-Patienten zeigte, dass innerhalb der ersten sechs Monate nach roboter-assistierter OP die Rate an einer weiteren Behandlung (z.B. Strahlentherapie), der s.g. Salvage-Therapie um das Dreifache (27,8% vs. 9,1%) und die Wahrscheinlichkeit von Anastomosenstrikturen (Verengung der Harnröhre durch verstärkte Narbenbildung) um das 1,4-fache gegenüber der herkömmlichen Prostata-OP erhöht war. Hierbei wird deutlich, dass neben den beworbenen Vorzügen wie geringerer Blutverlust und kürzere Liegezeiten, mittelfristig gesehen auch Nachteile auftreten können.
Qualität leidet durch geringe Fallzahlen
Erfahrung und Expertise des jeweiligen Operationsteams haben unabhängig vom Operationsverfahren immer einen maßgeblichen Einfluss auf das Operationsergebnis. Jeder Operateur muss eine bestimmte Anzahl an Operationen durchführen (s.g. Lernkurve), bevor er den Ablauf perfekt beherrscht und das Ergebnis optimal ist. Dies gilt auch für die Entfernung der Prostata beim lokalisierten Prostatakarzinom, unabhängig davon, ob der Eingriff mit Hilfe der Robotertechnik durchgeführt wird oder nicht.
40 bis 250 Eingriffe benötigt der Operateur, um den Da Vinci-Roboter optimal zu beherrschen. Das geht aus einer Übersichtsarbeit hervor, in der 44 Studien ausgewertet wurden, in denen die Lernkurve der Roboter-assisitierten Prostataentfernung ermittelt wurde. Die Studienautoren betonen, dass die Lernkurve für die Da Vinci-OP nicht so kurz ist wie häufig angegeben wird. Allerdings hat der Da Vinci-Boom dazu geführt, dass mittlerweile sehr viele Krankenhäuser über einen Operations-Roboter verfügen, ohne dass ausreichend Patienten zur Verfügung stehen. Für die Operateure wird es deshalb vielerorts schwierig, sich die erforderliche Routine anzueignen, die für die OP notwendig ist.
Hinzu kommt, dass nach einer Untersuchung der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA die Zahl der gemeldeten Zwischenfälle mit dem Da Vinci Robotersystem zugenommen haben soll. Der Da Vinci Marktführer Intuitive Surgical wird außerdem in einem Prozess im US-Bundesstaat Washington beschuldigt, in Krankenhäusern darauf gedrängt zu haben, dass Ärzte ohne ausreichendes Training mit Hilfe der Roboter operieren sollten.
Paradigmenwechsel erforderlich
Doch in erster Linie sollte es nicht um die Frage Da Vinci „Ja“ oder „Nein“ gehen, sondern vielmehr darum, ob tatsächlich alle erkannten Tumore einer invasiven Therapie, wie der radikalen Prostataentfernung bedürfen. Viele Urologen halten immer noch ungeachtet des wissenschaftlichen Konsenses weiterhin an der Überzeugung fest, dass nur eine radikale Entfernung der Prostata zur Tumorheilung führen kann. Dafür nehmen sie – unabhängig ob Roboter-assistiert oder nicht mitunter starke Nebenwirkungen in Kauf. Nach einer Untersuchung der Barmer GEK klagten 70 Prozent der Operierten über Potenzprobleme, 53 Prozent über sexuelles Desinteresse und rund 16 Prozent über Harn-Inkontinenz (Urinverlust). Jeder Fünfte bestätigte zudem operationsbedingte Komplikationen wie starke Blutungen oder Darmverletzungen. Ziel sollte es aber sein, eine bestmögliche Heilung bei gleichzeitig geringen Nebenwirkungen zu erreichen.
Brachytherapie der Operation überlegen
Große Vergleichsstudien6/7 der letzten Jahre liefern den Beweis dafür, dass beim lokalisierten Prostatakarzinom strahlentherapeutische Verfahren wie die Brachytherapie (innere Bestrahlung) der Operation in ihrer Wirksamkeit oft gleichwertig oder sogar überlegen sind. Das gilt sowohl für die Heilungsraten als auch für Nebenwirkungen wie Inkontinenz und Impotenz.
Langzeitstudien, darunter eine aktuelle US-amerikanische Studie6 zeigen, dass eine erektile Dysfunktion nach der Radikal-OP bei 70 Prozent und nach der Seed-Implantation bei 14 Prozent auftritt6. Auch die Harninkontinenz, die nach der radikalen Entfernung der Prostata bei bis zu 50 Prozent liegt, ist mit 0,3 bis 3 Prozent nach Seed-Implantation verschwindend gering und tritt eigentlich nur nach vorangegangener Prostataausschälung (TURP) auf.
Vielmehr sollte daher in die Therapieüberlegungen einbezogen werden, ob eine Bestrahlung der Radikal-OP vorzuziehen ist. Denn trotz hervorragender Langzeitergebnisse der Brachytherapie stellen viele Patienten große Erwartungen an die Roboter-Technologie und sind bereit, sich mittels der Da Vinci-Methode behandeln zu lassen, ohne dass der tatsächliche Nutzen bewiesen ist.