Noch immer werden Männer vor einer Prostata-OP über Harninkontinenz als Spätfolge des Eingriffs nicht umfassend aufgeklärt. Dabei trifft der unfreiwillige Verlust von Urin trotz nervenschonender Operationstechniken viele Männer. Wie die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) in den aktuelle Leitlinien zur Behandlung des Prostatakarzinoms veröffentlichte, kann im Höchstfall jeder zweite Patient nach der Radikal-OP den Urin nicht mehr halten. Nicht wenige der operierten Männer leiden dauerhaft an einer Harninkontinenz und sind lebenslänglich auf Windeln und Vorlagen angewiesen.
Prostatakrebs – Die Diagnose trifft Heinz S. wie aus heiterem Himmel. Nur 10 Tage später lässt sich der 67-jährige Industriekaufmann im Städtischen Krankenhaus die Vorsteherdrüse operativ entfernen. Danach verliert er die Kontrolle über seine Blasen-funktion; er wird inkontinent. Heinz S. ist kein Einzelfall. „Bei der Operation muss häufig ein Anteil des Blasen-Schließmuskels entfernt werden. Der verbleibende Schließmuskel ist dann oftmals zu schwach, den Urin in der Blase zurückzuhalten - vor allem in Belastungssituationen, wie etwa beim Husten, Niesen oder Pressen“, erklärt Dr. Derakhshani, Urologe im Westdeutschen Prostatazentrum.
Inkontinenz: Starke Beeinträchtigung der Lebensqualität
Das Problem, den Urin nicht mehr halten zu können, ist bei den operierten Männern unterschiedlich stark ausgeprägt und reicht von leichtem Urinverlust und Tragen von Vorlagen bis hin zur dauerhaften Verwendung von Windeln. In vielen Fällen bessern sich die Beschwerden mit Beckenbodentraining oder Medikamenten wieder. Bei einem Teil der Operierten bleibt die Inkontinenz jedoch dauerhaft bestehen oder aber beginnt einige Jahre nach dem chirurgischen Eingriff. In einer aktuellen Studie1 untersuchten italienische Urologen in einem Langzeit-Follow-up (mind. 8 Jahre) den Kontinenzstatus von 235 Männern, die zwei Jahre nach der OP ihren Urin noch halten konnten. Das Ergebnis: 89 Prozent der Patienten blieben nach erneuter Untersuchung weiterhin kontinent und 11 Prozent der Männer benutzen täglich eine oder mehrere Vorlagen. Damit ist die Inkontinenzrate doppelt so hoch wie bei nicht-operierten Gleichaltrigen. Wie die Forscher berichten, sei die höhere Anzahl an Männern, die keine Kontrolle mehr über ihre Blase haben, vor allem auf die durch die Operation beeinträchtigte Unterleibsmuskulatur zurückzuführen.
Brachytherapie: Weniger Belastung für die Blase
„Fakt ist, dass Harninkontinenz die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigt“, unterstreicht Derakhshani. Dies gehe über eine allgemeine Verunsicherung bis hin zum Verlust sozialer Kontakte und Aktivitäten. Manche Männer trauen sich sogar nicht mehr in den Urlaub zu fahren oder gar ihre Wohnung für längere Zeit zu verlas-sen. „Umso wichtiger ist es“, so der Kölner Urologe, „den Patienten im Vorfeld der Therapie auf die Harninkontinenz als mögliche Folge des chirurgischen Eingriffs aufmerk-sam zu machen und gleichsam wirksame aber schonendere Behandlungsverfahren wie die Brachytherapie(innere Bestrahlung) in die Therapieüberlegungen einzubeziehen.“
Bei der Brachytherapie werden kleinste Strahlungsquellen (Seeds) in die Prostata eingesetzt. Die Mini-Implantate verbleiben in der Drüse und geben über mehrere Monate hochdosierte Strahlung gezielt auf das Tumorgewebe ab. Auf diese Weise wird der Tumor zerstört ohne das umliegende Gewebe nachhaltig zu schädigen. „Zwar kann nach der Brachytherapie ein vorübergehender verstärkter Harndrang auftreten, die gefürchtete Harninkontinenz bleibt jedoch praktisch allen Patienten erspart“, betont Derakhshani. Im Nachhinein ist auch Heinz S. klüger und würde sich nicht mehr so überstürtzt operieren lassen, sondern sich erst einmal umfassend über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen informieren.