Etwa 67.000 Männer werden in Deutschland jedes Jahr mit der Diagnose Prostatakrebs konfrontiert. Dank deutlich verbesserter Früherkennungsmöglichkeiten, insbesondere seit der Einführung des PSA-Tests, werden heute über 90 Prozent aller Tumoren in einem frühen und damit meist heilbaren Stadium erkannt. Ist der Tumor auf die Prostata beschränkt, stehen dem Betroffenen zur Therapie mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: Innere Bestrahlung (Brachytherapie), äußere Bestrahlung oder Radikaloperation. Bei Männern mit einem Niedrig-Risiko-Karzinom ist es sogar möglich, den Tumor lediglich engmaschig zu überwachen (Active Surveillance, AS)
„Erhält ein Mann die Diagnose Prostatakrebs, spielt die Befürchtung an der Erkrankung zu sterben für die Wahl der Therapie eine wesentliche Rolle“, sagt PD Dr. Friederike Kendel vom Institut für Medizinische Psychologie der Charité. „Der Patient wird sich fragen, wie das Risiko an der Erkrankung zu sterben durch die Wahl einer bestimmten Behandlung verringert werden kann“, so die Psychologin. Für eine gut informierte Patientenentscheidung ist daher das Wissen um das so genannte Mortalitätsrisiko sehr bedeutend.
Um zu untersuchen, wie die Zahlen zum Mortalitätsrisiko der einzelnen Behandlungsoptionen vom Patienten wahrgenommen werden, führte die Arbeitsgruppe der Charité um Friederike Kendel eine Studie1 mit insgesamt 292 Patienten durch. Diese wurden ein bis fünf Jahre nach der Diagnose eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms gefragt, wie sie das Risiko einschätzten, an dieser Erkrankung und nicht an einer anderen Ursache zu sterben. Dabei waren die Teilnehmer der Studie entweder unter aktiver Beobachtung (AS) oder hatten sich einer radikalen Prostatektomie (RP) unterzogen.
Mortalitätsrisiko wird stark überschätzt
Die Studie konnte eindrucksvoll zeigen, dass das Mortalitätsrisiko unabhängig von der gewählten Behandlungsoption (Operation oder Abwarten) deutlich überschätzt wird. So lag das selbst eingeschätzte Risiko mit etwa 20 bis 50 Pr-zent deutlich über dem tatsächlichen Risiko von durchschnittlich 0,1 bis 3 Pro-zent2/3. „Besonders auffällig war jedoch, dass Männer, die sich für eine operative Entfernung der Prostata entschieden haben, das Mortalitätsrisiko der Active Surveillance besonders hoch einschätzten“, erläuterte Dr. Kendel. Während Männer, die unter aktiver Beobachtung waren meinten, dass etwa 25 Prozent der Männer unter AS an dem Prostatakarzinom sterben würden, gaben Männer, die sich einer Prostatektomie unterzogen hatten, im Durchschnitt sogar 51 Prozent an.
„Informationen zu den verschiedenen Behandlungsoptionen und deren Mortaitätsrisiko sollten dem Patienten daher so transparent wie möglich dargestellt und vermittelt werden“, betont Dr. Kendel. Vor allem sei es wichtig, diesen Männern grundsätzlich die Angst zu nehmen, am lokal begrenzten Prostatakrebs zu sterben. Denn noch immer existieren völlig falsche Vorstellungen, die das Prostatakarzinom einem Todesurteil gleichsetzen, unabhängig von dem Stadium und derAggressivität des Tumors. Die Vermittlung realistischer Einschätzungen erfordert vom behandelnden Arzt nicht nur ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, sondern ist ebenfalls mit einem hohen Zeitaufwand verbunden. „Doch erst wenn die Zahlen richtig verstanden werden, kann überhaupt von einer informierten Entscheidung gesprochen werden“, resümiert die Berliner Psychologin.