Aktive Überwachung als gleichberechtigte Therapieoption beim Prostatakarzinom
Dank verbesserter Früherkennung werden immer mehr Prostatakarzinome im Frühstadium entdeckt und insbesondere in Deutschland trotzdem einer radikalen operativen Therapie zugeführt. Dabei würden viele dieser Tumore niemals Beschwerden verursachen, geschweige denn zum Tode führen. Um der „Übertherapie“ entgegen zu wirken, gewinnen defensive Strategien wie die „aktive Überwachung“ oder nebenwirkungsarme Therapiemethoden wie die Brachytherapie immer mehr an Bedeutung.
„Abwarten und den Tumor im Auge behalten“, lautet die Therapieempfehlung für Heinz L. aus Bornheim. Vor zwei Wochen wurde bei dem 58-jährigen Kaufmann im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung Prostatakrebs diagnostiziert. Alle drei Monate muss er nun zu seinem behandelnden Arzt, um mittels PSA-Test und Tastuntersuchung, zu überprüfen, ob sich der Tumor verändert hat. „Bei einem sehr frühen Stadium des Prostatakarzinoms mit geringer Tumorlast und einem sehr günstigen, nicht aggressiven Prostatakarzinom, kann es ausreichend sein, zunächst regelmäßige Untersuchungen durchzuführen und den Tumor „aktiv“ zu beobachten. Sobald aber erste Anzeichen dafür sprechen, dass die Tumorerkrankung fortschreitet, werden entsprechende Therapiemaßnahmen getroffen“, erklärt Dr. Pedram Derakhshani, Urologe im Westdeutschen Prostatazentrum.
Radikale OP meist nicht gerechtfertigt
Bei jedem sechsten Mann über 50 Jahre wird heute Prostatakrebs diagnostiziert. Allerdings haben 90 Prozent der Patienten einen Tumor, der auf die Prostatabeschränkt ist und keine Absiedelungen (Metastasen) gebildet hat. Bei nicht wenigen Betroffenen ist aufgrund der günstigen Ausprägung und Beschaffenheit des Tumors oder auf Grund ihres Alters kein klinisch relevantes Tumorwachstum zu er-warten. „Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein radikaler Behand-lungsansatz, in jedem Falle gerechtfertigt ist“, sagt Derakhshani. Denn wie aktuelle Studien zeigen, ist die Operation zum Teil mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. So leiden bis zu 50 Prozent der Operierten nach dem Eingriff an einer Belastungsinkontinenz und 30 bis 100 Prozent an einer erektilen Dysfunktion.1/2 Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) zog daraus ihre Konsequenzen und empfiehlt in den aktuellen Leitlinien Krebspatienten, die für eine lokale kurative Behandlung in Frage kommen, neben den gängigen Therapiemethoden wie der Bestrahlung oder der radikalen Prostataentfernung in speziellen Fällen auch die s.g. Active Surveillance, (auf deutsch: Aktive Überwachung) als mögliche Alternative in Betracht zu ziehen.
Die Aktive Überwachung ist keine tatsächliche Therapie, sondern vielmehr eine Strategie. Der Tumor soll in den ersten beiden Jahren durch PSA-Bestimmung und die digital rektale Untersuchung alle drei Monate kontrolliert werden. Bleibt der PSA-Wert stabil, verlängert sich der Zeitraum auf sechs Monate. Weiterhin wird empfohlen, alle 12 Monate eine Biopsie vorzunehmen. Anzeichen für ein Fortschreiten der Tumorerkrankung sind gegeben, wenn sich der PSA-Wert in weniger als drei Jahren verdoppelt oder sich der Aggressivitätsgrad nach Auswertung der Gewebeprobe (Gleason-Score > 6) deutlich verschlechtert.
Psychische Belastung durch „Aktive Überwachung“
„Das Wissen um einen sich im Körper befindlichen Tumor kann jedoch zu einer nicht unerheblichen psychischen Belastung führen“, beschreibt Derakhshani. Die Lebensqualität werde dadurch unter Umständen erheblich eingeschränkt. Hinzu kommt, dass die Patienten exakt die Untersuchungstermine bei Ihrem Urologen einhalten müssen, damit ein Fortschreiten der Erkrankung mit daraus resultierender Therapienotwendigkeit nicht verpasst wird.
Eine Lösung für dieses Dilemma bieten Therapieverfahren, die deutlich schonender sind als die Operation bei gleichzeitiger Erhaltung der Lebensqualität. Trotz gleicher Heilungschancen treten beispielsweise bei der s.g. Brachytherapie wesentlich weniger Nebenwirkungen auf als bei der radikalen Entfernung der Prostata.3 Diese innere Bestrahlung hat einen wesentlichen Vorteil gegenüber der Operation: „Durch eine exakte Verteilung der Strahlendosis können wir den Tumor bestrahlen, ohne umliegende Strukturen wie Harnröhre oder Schließmuskel zu beschädigen“, erklärt Dr. Gregor Spira, Strahlentherapeut im WPZ. So zeigen mehrere Studien, dass eine erektile Dysfunktion nach der Radikal-OP bei 70 Prozent und nach der Seed-Implantation bei 14 Prozent auftritt4. Auch die Harninkontinenz, die nach der radikalen Entfernung der Prostata bei bis zu 50 Prozent liegt, ist mit 0,3 bis 3 Prozent nach Seed-Implantation verschwindend gering. Damit kann der Patient den Vorteil der optimalen Tumorheilung mit den im Vergleich zur OP geringeren Nebenwirkungen sinnvoll kombinieren.