Wer profitiert von einer Behandlung – wer nicht?
Lohnt sich bei über 75-Jährigen eine Therapie des Prostatakarzinoms oder sind die Senioren mit einem abwartenden Vorgehen besser beraten? Experten fordern neben dem Alter sowohl die gesundheitliche Verfassung, die Ausprägung des Tumors als auch die individuellen Bedürfnisse der Patienten in die Therapieentscheidung einzubeziehen. Prostatakrebs wird nicht umsonst der Krebs des älteren Mannes genannt.
Fakt ist, dass jeder vierte Betroffene zum Zeitpunkt der Diagnosestellung älter ist als 75. Obwohl Prostatakrebs gerade im höheren Lebensalter weit verbreitet ist, fallen Männer mit Vollendung des 70ten Lebensjahres regelmäßig aus dem Vorsorgeraster. „Auch die Entscheidung, ob der Patient eine „heilende“ Behandlung erhält oder nicht, wird leider immer noch häufig ausschließlich vom Alter des Patienten abhängig gemacht“, moniert Dr. Stephan Neubauer, Urologe im Westdeutschen Prostatazentrum in Köln.
Dabei hängt die Lebenserwartung nicht alleine vom Alter sondern von einer Reihe zusätzlicher Faktoren ab, wie mehrere Studien eindrucksvoll zeigen. So spielen chronische Begleiterkrankungen, körperliche Fitness aber auch Eigenständigkeit und geistige Agilität eine wesentliche Rolle dafür, wie viele Jahre ein Patient noch vor sich hat1. „Viele Senioren stehen auch jenseits der 75 noch mitten im Leben, sind körperlich aktiv, vielseitig interessiert und erfreuen sich guter Gesundheit“, weiß Neubauer aus der täglichen Praxis. Der Mehrzahl seiner über 75 jährigen Patienten bescheinigt der Kölner Urologe daher eine durchschnittliche Lebenserwartung von mindestens 10-15 Jahren. Warum sollte hier also auf eine effektive Therapie verzichtet werden?
Patienten jenseits der 70 erhalten seltener eine kurative Therapie
Auch die Gesellschaft für Geriatrische Onkologie (SIOG) empfiehlt, dass bei gesunden älteren Menschen die gleiche Therapie erfolgen sollte wie bei den jüngeren Prostata-krebs-Patienten. Dass dies jedoch in der Praxis nicht der Fall ist, zeigt eine Vielzahl von Untersuchungen1. Danach erhalten ältere Patienten mit einem lokalisierten Prostatakarzinom tatsächlich seltener eine kurative (heilende) Therapien wie die Brachytherapie, die Bestrahlung oder eine Operation als ihre jüngeren Leidensgenossen. Stattdessen werden Männer höheren Alters häufiger mittels Hormontherapie oder kontrolliertem Zuwarten (Active Surveillance) behandelt.
„Der Schuss kann nach hinten losgehen“, so Neubauer. Denn ebenfalls bei Männern über 75 Jahre werden, häufiger als bislang vermutet, auch aggressivere Formen des Tumors diagnostiziert. Das sind Tumore, die sehr schnell wachsen, Tochtergeschwülste (Metastasen) bilden und wenn sie zu spät erkannt werden zum Tode führen können. Werden jedoch ältere Männer, die einen Hochrisiko-Tumor aufweisen mittels der etablierten Therapieverfahren behandelt, nimmt die Sterblichkeitsrate um fast die Hälfte ab, wie jüngst im renommierten British Journal of Urology publiziert wurde2.
Augemerk auf schonende Therapieverfahren richten
„Das Ziel einer jeden Prostatakrebstherapie sollte es sein, mögliche durch die Erkrankung auftretende Einschränkungen der Lebensqualität zu vermeiden und das Leben der Patienten zu verlängern. Ist die Entscheidung für eine Therapie gefallen, sollte daher das Augenmerk auf schonende Therapieverfahren gelegt werden“, betont Neubauer. Hierfür eignet sich vor allem die innere Bestrahlung, die so genannte Brachytherapie. Unter ständiger Ultraschallkontrolle werden bis zu 80 kleinste Strahlenquellen (Seeds) in die Prostata eingesetzt. Die Seeds verbleiben im Körper des Patienten und entfalten über Monate ihre Strahlenwirkung auf das Prostatakarzinom. Das Tumorgewebe wird durch die hochdosierte Strahlung punktgenau von innen zerstört. Nachbarorgane wie Darm, Blase und Harnröhre werden indessen geschont. Das mache sich in der Lebensqualität und Zufriedenheit der Patienten bemerkbar, so der Kölner Urologe. Sein Fazit: „Es darf keinesfalls sein, dass hohes Alter ein zwingender Grund ist, Prostatakrebs nicht zu behandeln.“