Aktuelle Studien bestätigen Übertherapie / Gravierende Operationsfolgen für Patienten
Noch immer wird in Deutschland die Mehrzahl der Patienten mit einem lokalisierten Prostatakarzinom operiert. Dass dieses Vorgehen längst überholt ist, zeigen mittlerweile zahlreiche Studien. Vor allem Männer mit einem Tumor, der ein geringes Risiko aufweist, oder Männer über 70 Jahre, sind mit einer OP nicht gut beraten. Im Gegenteil: Viele Betroffene klagen über erhebliche Nebenwirkungen und Spätfolgen des Eingriffs. Und das, obwohl immer häufiger gefäß- und ner-venschonende Operationstechniken genutzt werden.
Fakt ist, dass dank verbesserter Früherkennung immer mehr Prostatakarzinome im Frühstadium entdeckt werden. Gleichzeitig wächst die Unsicherheit, ob tatsächlich alle diagnostizierten Tumore einer invasiven Therapie, wie der Radikal-OP, bedürfen. Denn mittlerweile weiß man, dass viele dieser Tumore niemals Beschwerden verursachen würden, geschweige denn zum Tode führen. „Der Griff zum Skalpell geschieht leider viel zu häufig“, kritisiert deshalb Dr. Stephan Neubauer, Urologe im Westdeutschen Prostatazentrum. Vorschnell würden Männer mit Prostatakrebs operiert, ohne schonendere Therapiemöglichkeitenoder auch ein kontrollierte Abwarten (Active Surveillance) überhaupt in Betracht zu ziehen.
Mehr Schaden als Nutzen
Zahlreiche Studien, darunter eine aktuelle Studie1, die erst kürzlich im New England Journal of Medicine erschienen ist, bestätigen die These, dass zu viele Männer mit einem Prostatakarzinom operiert werden, ohne dass sie langfristig davon profitieren. Im Gegenteil: Der Anteil der Männer, die innerhalb von zwei Jahren inkontinent (17 versus 6%) oder impotent (81 versus 44%) geworden sind, ist bei den Operierten deutlich höher als bei den Nicht-Operierten.
Zu ähnlichen Ergebnisse kommt eine jüngst veröffentlichte Studie der Krankenkasse Barmer GEK2. Danach klagten 70 Prozent der Operierten über Ereketionsprobleme, 53 Prozent über sexuelles Desinteresse und rund 16 Prozent über Harn-Inkontinenz. Jeder Fünfte bestätigte zudem operationsbedingte Komplikationen wie starke Blutungen oder Darmverletzungen.
Eine schwedische Studie ergab außerdem, dass vor allem Prostatakrebs-Patienten mit einem nicht tastbaren, wenig aggressiven Tumor, (T1-Tumor, Gleason-Score unter 7) sowie Männer jenseits des siebzigsten Lebensjahres keinen Nutzen von der OP haben. Aber auch für Patienten deren Tumorbeschaffenheit ungünstiger ausfällt (T1-Tumor, Gleason-Score 7/ T2-Tumor, Gleason-Score 6) lässt sich der Vorteil einer OP laut Aussage der Wissenschaftler nicht belegen.
„Eine radikale Entfernung der Prostata verlängert in vielen Fällen nicht das Leben, son-dern schränkt im Zweifel die Lebensqualität massiv ein“, resümiert Dr. Neubauer. Ange-sichts der aktuellen Studienlage stellt sich die Frage, ob ein radikaler Behandlungsansatz, in jedem Falle gerechtfertigt ist? Stattdessen sollte es vielmehr das Ziel sein, eine bestmögliche Heilung bei gleichzeitig geringen Nebenwirkungen zu erreichen. Hierzu eignen sich vor allem minimal-invasive Therapieverfahren wie die innere Bestrahlung.
Bei der so genannten Brachytherapie werden unter Ultraschallkontrolle kleinste Strahlungsquellen direkt in die Prostata gebracht. Damit hat die Brachytherapie einen we-sentlichen Vorteil gegenüber der Operation: „Durch eine exakte Verteilung der Strahlendosis können wir den Tumor bestrahlen, ohne umliegende Strukturen wie Harnröhre oder Schließmuskel zu beschädigen“, so Dr. Neubauer.
Aktuelle Metastudie: Brachytherapie der OP überlegen
Die Brachytherapie überzeugt nicht nur aufgrund geringerer Folgekomplikationen son-dern auch hinsichtlich ihrer Wirksamkeit: So konnte eine aktuelle Metastudie (Zusam-menfassung weltweiter Studiendaten), erstmals belegen, dass die Brachytherapie, al-lein oder in Kombination mit einer ergänzenden Strahlen- oder Hormontherapie, in allen Krankheitsstadien im Vergleich zu einer Radikal-OP mindestens gleichwertige oder bessere Heilungsraten erzielt. „Damit kann der Patient den Vorteil der optimalen Tumorheilung bei der Brachytherapie mit den im Vergleich zur OP geringeren Nebenwirkungen sinnvoll kombinieren“, resümiert Neubauer.