Versorgungsstudie: Ein Drittel der Männer drei Monate nach Prostataentfernung noch immer inkontinent
Nichts fürchten Patienten nach einer Prostatakrebs OP mehr als den Verlust der Fähigkeit ihren Urin zu halten. Eine berechtigte Sorge, da die Harninkontinenz als Folge des radikalen Eingriffs am häufigsten vorkommt und die Lebensqualität der Männer am stärksten beeinträchtigt. Verlässliche Angaben über die Anzahl der betroffenen Männer gibt es indessen nicht. Eine aktuelle Studie nun deshalb der Frage nach, wie die Realität in der Versorgung tatsächlich aussieht.
„Noch immer werden Männer mit Prostatakrebs vor einer Prostata-OP über Harninkontinenz als Spätfolge des Eingriffs nicht umfassend aufgeklärt“, moniert Dr. Stephan Neubauer, Urologe im Westdeutschen Prostatazentrum. Dabei trifft der unfreiwillige Verlust von Urin trotz nervenschonender Operationstechniken viele Männer. Genaue Angaben zur tatsächlichen Häufigkeit fehlen jedoch. „So sind die Prozentzahlen zur Harninkontinenz je nach Studie sehr unterschiedlich und hängen davon ab, wer sie wie und wann ermittelt hat. Mit der Realität haben sie meist wenig zu tun“, sagt Dr. Neubauer.
Aktuelle Studie aus der Versorgungsrealität
Wie viele Patienten tatsächlich nach dem Eingriff inkontinent sind, liefert nun eine aktu-elle Untersuchung, die jüngst im Fachmagazin „Der Urologe“ veröffentlicht wurde. Dazu wertete ein Team aus Wissenschaftlern die Krankenakten aller Patienten aus, die im Jahr 2009 in der Klinik am Kurpark in Bad Wildungen eine Anschlussheilbehandlung nach vorangegangener Entfernung der Prostata erhielten. Ausgewertet wurden insge-samt 1750 Patienten im durchschnittlichen Alter von 65 Jahren. Erfasst wurden neben dem Lebensalter, der PSA-Wert vor der Operation sowie das gewählte Operationsverfahren.
Das Ergebnis der Untersuchung kann eindeutiger nicht sein: Drei Monate nach OP konnten zwei Drittel der Patienten trotz der Rehabilitationsmaßnahmen wie Beckenbo-dentraining ihren Urin noch immer nicht halten. Dabei war das Problem der Inkontinenz unterschiedlich stark ausgeprägt und reichte von leichtem Urinverlust und Tragen von Vorlagen bis hin zur dauerhaften Verwendung von Windeln. Im Umkehrschluss verließen nur ein Drittel der Männer kontinent die Rehaeinrichtung. „Die Zahlen spiegeln das Bild wieder, welches wir aus unserer täglichen Praxis kennen“, betont der Kölner Urologe. Wann und ob überhaupt die betroffenen Männer ihre Inkontinenz überwinden, steht zu diesem Zeitpunkt noch in den Sternen. Dabei gilt: Je länger die Inkontinenz anhält, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Patienten auch noch nach 12 Monaten den Urin nicht halten können. Auffällig war ebenfalls, dass es keinen Unterschied in der Häufigkeit der Harninkontinenz gab, je nachdem welches OP-Verfahren angewandt wurde. Selbst die als besonders schonendes verfahren propagierte Roboter-gestützte OP schützte nicht vor dem gefürchteten Harnverlust.
„Die große Häufigkeit der Harninkontinenz als Folge der OP ist umso schwerwiegender, da viele Männer mit Prostatakrebs noch immer unnötig operiert werden“, betont Dr. Neubauer. So könne es laut Empfehlung der Leitlinien bei Männern, die ein Prostatakarzinom mit geringem Risiko aufweisen, häufig ausreichend sein, den Tumor engma-schig zu überwachen (Active Surveillance). Sollte dennoch eine Behandlung notwendig werden, gelte es, den Fokus verstärkt dahin zu lenken optimale Heilungsraten bei minimalen Nebenwirkungen zu erzielen, so der Kölner Urologe. „Unsere Pflicht ist es daher, den Patienten im Vorfeld der Therapie auf gleichsam wirksame aber schonendere Behandlungsverfahren wie die Brachytherapie (innere Bestrahlung) aufmerksam zu machen.“